
BGH ZU ZINSANPASSUNG
FAZ vom 01.03.2019:
Aufstand gegen Willkür-Zinsen
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Lange haben Banken bei Sparverträgen mit variablen Zinsen die Zinssätze recht frei angepasst. Der Bundesgerichtshof hat dem Grenzen gesetzt. Nun wollen Verbraucherschützer Verträge aufrollen – und Nachzahlungen an jeden Sparer durchsetzen.
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sibi. FRANKFURT, 1. März. Es betrifft Tausende von Sparern überall in Deutschland, und es geht in den meisten Fällen jeweils um mehrere tausend Euro: Die Verbraucherzentralen haben langfristige Sparverträge untersucht, überwiegend von Sparkassen. Und sie kommen zu dem Ergebnis, dass in vielen Fällen die Anpassung der Zinsen über die Jahre nicht rechtmäßig erfolgt sei. Die Zinsen waren in diesen Sparverträgen variabel gestaltet, und in den Verträgen war oft nur vage angedeutet, nach welchen Kriterien das jeweilige Kreditinstitut die Zinsen anpasst. Für den Bankkunden war das oft nicht klar zu erkennen. Mittlerweile aber gibt es eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH), der zumindest gewisse Mindestanforderungen an solche Zinsanpassungsklauseln formuliert hat.
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Die Verbraucherzentralen leiten daraus die Forderung nach Nachzahlungen der Geldinstitute für die betroffenen Bankkunden mit diesen Sparverträgen ab. Es soll dabei um Summen zwischen 200 und etwa 13 000 Euro je Sparvertrag gehen. „Im Durchschnitt bewegen sich die Differenzen so um die 2000 bis 3000 Euro“, sagt Andrea Heyer, Referatsleiterin Finanzen bei der Verbraucherzentrale Sachsen. In den neuen Bundesländern war das Thema zuerst aufgetaucht. Allein aus Sachsen haben 600 Verbraucher ihre Sparverträge zur Überprüfung bei der Verbraucherzentrale eingereicht. Mittlerweile liegen aber Verträge aus allen Teilen Deutschlands vor. Auch die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, die bei den Negativzinsen gegen Banken geklagt hatte, hat sich eingeschaltet und plant Schritte, wie deren Finanzfachmann Niels Nauhauser berichtet.
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Wo ist das Problem? Es geht vor allem um ältere Sparverträge, oft sogenannte Prämiensparverträge, die neben einer variablen Verzinsung noch eine Prämie vorsehen. Die Verbraucherzentralen machen geltend, dass es vielen dieser alten Verträge an Transparenz mangele, zum Teil fehle es auch grundsätzlich an wirksamen Zinsanpassungskriterien. In den Verträgen stehen Sätze, die wenig verbindlich festschreiben: „Die Spareinlage wird variabel, zurzeit mit 3 Prozent verzinst“, hieß es 1997 bei der Sparkasse Leipzig. „Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz am Ende des Kalenderjahres eine verzinsliche S-Prämie“, schrieb die Erzgebirgssparkasse 1996. Oder es stand im Vertrag: „Die Sparkasse zahlt neben dem durch Aushang bekanntgegebenen Zinssatz für Spareinlagen dieser Art von zurzeit 5 Prozent . . .“.
In den entsprechenden Verträgen habe es damals keine wirksamen Zinsanpassungsklauseln gegeben, sie seien auch nicht nachträglich korrigiert worden, meint Heyer. Die Rechtsfolge sei, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Parameter der Zinsanpassung beidseitig festzulegen seien. Auch für neuere Verträge nach 2004, die oft Zinsanpassungsklauseln enthalten, stelle sich die Frage, ob diese rechtskonform seien. „Wir stützen uns dabei auf die BGH-Rechtsprechung, der Rahmen wurde höchstrichterlich vorgegeben“, argumentiert die Verbraucherzentrale. Die Richter hätten vier Kriterien vorgegeben: Als Referenzzins für langfristige Sparverträge müsse das Kreditinstitut einen entsprechend langfristigen Zinssatz zugrunde legen. Es dürfe keine „Schwellen“ geben, von denen an Änderungen erst greifen. Die Anpassung müsse monatlich erfolgen. Und es müsse eine relative Anpassung erfolgen, also nach Prozentpunkten.
In ersten stichprobenartigen Überprüfungen im vergangenen Jahr hätten die Verbraucherschützer festgestellt, dass diese grundsätzlichen Kriterien des BGH von vielen Instituten nicht erfüllt würden und jedes Institut anders vorgehe. So sei zum Beispiel als Referenzzins der Swap-Eur-7 Jahre oder ein selbst gebildeter Mischzins verwendet worden oder auch die Bundesbankzeitreihe WX 4254 (siehe Grafik), eine Umlaufrendite, die nur eine mittelfristige Restlaufzeit von vier bis fünf Jahren abbildet – nach Ansicht der Verbraucherzentrale zu wenig, um die Anforderungen des BGH zu erfüllen. Sie hielte etwa die konkurrierende Umlaufrendite WX 4260, die mit einer Restlaufzeit von neun bis zehn Jahren in der Regel höher liegt, für eher geeignet – oder einen anderen langfristigen Referenzzins. Die Sparkassen sehen das anders, sehen aber auch Gesprächsbedarf. Eine Sprecherin des Ostdeutschen Sparkassenverbands sagte, Kunden könnten sich an ihre Schlichtungsstelle wenden, wenn sie zunächst mit ihrer Sparkasse gesprochen hätten. Die Verbraucherzentrale berichtet, in einem Fall habe eine Sparkasse zumindest 50 Prozent des geforderten Betrags gezahlt. In zwei Fällen seien Schlichtungsverfahren beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband anhängig. Viele Sparer aber machten jetzt erst einmal ihre Forderungen geltend. Die Verbraucherzentralen schlössen eine Musterfeststellungsklage nicht aus.
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